Zufluchtsort Trier-West

Von Renate Heineck


Die Autorin ist Mitarbeiterin des Caritasverbands Trier e.V. und Quartiersmanagerin in Trier-West. Die Caritas ist bereits seit den 50er Jahren im Quartier aktiv und unterhält seit 2015 Einrichtungen für geflüchtete Menschen.

Das Thema Flucht ist eng mit dem Stadtteil Trier-West verbunden, und das nicht erst seit 2015, seit Asyl begehrende Menschen in der Jägerkaserne untergebracht wurden. Krieg, Flucht und Vertreibung gehören bereits seit 100 Jahren zum Alltag dieses Quartiers. Zwischen Gneisenaustraße und Trierweilerweg entstand in den Jahren 1899 bis 1915 die „städtische Kaserne“ des Infanterie-Regiments No. 161, flankiert von der bereits bestehenden Hornkaserne, die sich in Richtung Pallien anschloss und der „Jägerkaserne“ in Richtung Euren. Trier-West lag somit fest in militärischer Hand.

Bereits nach dem ersten Weltkrieg strömten Flüchtlinge aus Elsass-Lothringen nach Trier. Gleichzeitig beschlagnahmte die französische Besatzungsbehörde Wohnraum. 1920 musste die Stadt 678 Wohnungen mit 1.500 Räumen für Offiziere, Unteroffiziere und deren Familien zur Verfügung stellen. Die Eisenbahndirektion wurde von Saarbrücken nach Tier verlegt, was die Wohnungsnot zusätzlich verschärfte. Ende 1928 gab es in Trier 1632 wohnungssuchende Parteien, darunter 1080 Familien mit mehreren Kindern. Hinzu kamen diejenigen, die bereits in Holzhäuschen im Fröschepuhl auf der heutigen Grenze zwischen Trier-West und Euren lebten und deren Unterkünfte in lebensunwürdigem Zustand oder gar vom Zusammenbruch bedroht waren.

Hatte man die Schuld an der Not zunächst auf die Besatzer geschoben, so verursachte der Abzug der Truppen im Juni 1930 doch neue Probleme: Die Stadt Trier verzeichnete erhebliche finanzielle Einbußen. Es fehlten jährlich sieben bis acht Millionen Mark in der Stadtkasse. Die Zahl der Neutrierer und Wohnungssuchenden stieg kontinuierlich. Und so wurden in den 1930er Jahren ehemals städtische Kasernengebäude notdürftig zu Wohnraum umgestaltet. Auch nach dem zweiten Weltkrieg setzte sich diese Entwicklung fort. Noch 1957 waren sechs Prozent der Trierer Bevölkerung als Obdachlose registriert. In den Kasernen entstanden immer mehr dieser Notunterkünfte. Die Menschen lebten in Gemeinschaftsräumen, ohne Privatsphäre. Es gab keine Arbeit und dementsprechend gering gestalteten sich die Chancen für die heranwachsende Generation. Der Stadtteil war weit über seine Grenzen hinaus bekannt, gefürchtet und geächtet.

Nachkommen dieser Menschen leben zum Teil bis heute im Bereich der Gneisenaukaserne. Manche von Ihnen sind noch immer auf staatliche Hilfe angewiesen. Wenn heute Geflüchtete und Vertriebene nach Trier-West kommen, und zum Teil in Auffangeinrichtungen in einigen alten Kasernengebäuden untergebracht werden, weckt das bei den Einheimischen Erinnerungen und schürt Ängste. Ängste davor, vergessen zu werden, verdrängt zu werden und selbst wieder tiefer in Not zu geraten.

Das Projekt „Fluchterfahrungen“ soll Brücken schlagen zwischen damals und heute, zwischen Menschen, die sich seit langem hier eingerichtet haben und Neuankömmlingen. Es soll zeigen, wie ähnlich beider Schicksale sind und es soll das Interesse füreinander wecken. Erfahrungen miteinander teilen, voneinander lernen und gemeinsam die Zukunft zu gestalten; Erinnerung bewahren und gemeinsam neue Wege beschreiten. Das sind wünschenswerte Ziele für unser Quartier.

Besonders junge Menschen, die die entbehrungsreiche Nachkriegszeit nicht am eigenen Leib erfahren haben, sollen an den Fluchterfahrungen anderer durch den Einsatz von DVDs an Schulen partizipieren können und einen Einblick in die Welt Ihrer Vorfahren erhalten, um erkennen, was es bedeutet, die eigene kulturelle Heimat verlassen zu müssen.

Aus diesem Grund freuen wir uns sehr, dass wir in Ralf Kotschka einen erfahrenen Kooperationspartner haben, mit dem wir bereits andere Projekte realisiert haben. Mit seinem Film „Ein Riss in der Seele - Fluchterfahrungen“ uns seiner Projektwebseite ist ihm ein weiteres Mal eine einfühlsame Darstellung einer komplexen Thematik gelungen.